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- 14. Okt. 2020
„Ich will wollen!“
Sexuelle Lustlosigkeit in Paarbeziehungen
„Keine Lust auf Sex“
…ist einer der häufigsten Gründe, mit denen Paare sich in sexualtherapeutischen Praxen vorstellen und Rat suchen. Das klingt erstmal erstaunlich. In einer Zeit, in der nahezu alles möglich scheint, es so gut wie keine Tabu´s mehr gibt und in Zeiten von Tinder Sexualpartner so leicht wie nie zu finden waren.
In der Regel klingt das so: „Weil Du so drängst, ziehe ich mich zurück.“ – „Ich muss so drängen, sonst passiert ja nie etwas.“ Das heißt, ein Partner übernimmt den progressiven Part, fordert aktiv Sexualität ein, der andere Partner übernimmt den regressiven Part, zieht sich zurück, verweigert sexuelle Annäherung, sieht schlimmstenfalls in jeder kleinen Geste den Wunsch nach Sexualität.
Der progressive Part hat in diesem Fall die Definitionsmacht über das, was Sexualität ist. Der regressive Part hat die Verhandlungsmacht, er „entscheidet“, ob es zur Sexualität kommt oder nicht. Das Nein ist stärker als das Ja. Und für beide Seiten ist diese Situation äußerst belastend, weil jeder auf einer Seite des Spektrums „festhängt“ und die Flexibilität verloren gegangen ist.
Gefälligkeitssex als Lösung für beide Seiten?
Eine auf Dauer für beide Seiten unbefriedigende Lösung ist die, bei der sich beide „in der Mitte treffen“ und auf eine gewisse Frequenz an Sexualität einigen. Was häufig zur Folge hat, dass der Partner mit weniger Lust sich „opfert“, einfach um den Frieden zu wahren. Und der andere maximal ein schales Gefühl von „Gefälligkeitssex“ empfindet. Spaß macht das für keinen von beiden.
Worum geht es eigentlich? Von Peggy Kleinplatz stammt der Ausdruck
„Sex worth wanting“ – es gehe um Sexualität, die es wert sei gewollt zu werden. Diese Sicht impliziert, dass das Nein zur Sexualität auch als Kompetenz gesehen werden kann. Als Kompetenz, Nein zu sagen, zu einer Sexualität, die man vielleicht so gar nicht möchte.
In der Regel pendeln Paare sich im Laufe der Jahre auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner ihrer gelebten Sexualität ein. Das läuft dann nach dem Motto „Gut ist nur, was wir beide wollen!“ Alles, was jenseits dieser Schnittmenge liegt, kann Angst machen und die Beziehung gefährden. Das kann ein Grund dafür sein, dass man es besser verschweigt. Der Preis dieses Schweigens ist mögliche sexuelle Langeweile. Oft ist Langeweile allerdings besser zu ertragen als Angst.
Wie kommen Paare aus der Lustlosigkeit heraus?
Die erste Frage, die es hier zu klären gilt ist die, ob beide bereit sind die sexuelle Komfortzone zu verlassen? Und beginnen wollen, sich neugierig dem eigenen Begehren zuzuwenden? Das setzt voraus, dass der lustlose Partner den Mut findet aktiv zu seinem Nein zu stehen – statt sich für „sexuell behindert“ zu erklären im Sinne von „mir bedeutet das einfach nicht so viel, es ist mir nicht so wichtig“. Nur so kann er entscheidungsfähig werden und zwischen Ja und Nein wählen lernen. Das Ziel ist sicher nicht „allzeit bereit“ zu sein - sondern sexuelle Authentizität zu entwickeln.
- Was möchte ich eigentlich?
- Welche Form von Sexualität passt zu mir?
- Wer bin ich eigentlich als Mann oder Frau?
Das schmerzhafte an der Lustlosigkeit ist nicht die geringer werdende Frequenz von sexuellen Kontakten in einer längeren Beziehung, sondern die Bedeutung, die der Lustlosigkeit gegeben wird und die sich in der Frage „Gilt es eigentlich noch zwischen uns?“ zeigt.
Das Ziel der Therapie: ein authentisches sexuelles Selbst!
Sowohl Veränderung als auch Nicht-Veränderung haben ihren Preis. Veränderung macht Angst, ist mit Ungewissheit verbunden – Nicht-Veränderung bleibt in der Komfortzone. Zum Preis der Langeweile und zum Preis, sein eigenes sexuelles Selbst zumindest in Teilen zu leugnen und damit weder authentisch noch lebendig zu sein. Fragen, die ein Paar sich stellen kann, was sich für Veränderung entscheidet, wären:
- Was kann eigentlich zwischen uns weiter gehen, genau so wie bisher, weil es gut läuft?
- Was gilt nicht mehr zwischen uns? Was sollten wir loslassen?
- Was sollten wir neu entwickeln?
Wichtig ist aus meiner Sicht, sich vorher bewusst zu machen, dass das Einlassen auf einen solchen Prozess durch unruhige Fahrwasser führen kann und durchaus mit negativen Gefühlen verbunden sein kann. Eine gewisse Risikobereitschaft ist sicher nötig, denn niemand weiß vorher, was in diesem Prozess herauskommt.
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